MILK-NEWS

http://www.europeanmilkboard.org

Newsletter als PDF

PDF-Version hier herunterladen

Kontakt

EMB - European Milk Board asbl
Rue de la Loi 155
B-1040 Bruxelles

Tel.: +32 - 2808 - 1935
Fax: +32 - 2808 - 8265

office@europeanmilkboard.org
www.europeanmilkboard.org

Sonder-Newsletter

Milchmarkt Schweiz - zwei Jahre nach dem Ende der Quote

Seit dem Ausstieg aus der Quote in der Schweiz am 1.5.2009 sind nun gut zwei Jahre vergangen. Die Situation auf dem Milchmarkt ist nach wie vor dramatisch. Es wird viel zu viel Milch angeliefert. Der Butterberg ist aktuell auf einer Rekordhöhe von über 10 000 Tonnen. Der Milchpreis ist permanent unter Druck und mit aktuell durchschnittlich 60 Rappen weit davon entfernt kostendeckend zu sein.

Der Ausstieg begann aber bereits drei Jahre früher. In der so genannten Übergangsphase 2006/2009 konnten sich die Produzenten zu Milchverkaufsorganisationen zusammenschliessen. Es entstanden 38 Organisationen, welche entweder als eigenständige Produzentenorganisation (PO) oder zusammen mit einer Molkerei (PMO) versuchten, das Angebot zu bündeln und ihre Milch gemeinsam zu verkaufen. Die fünf grössten PO bündeln zusammen rund 70% der Milchmenge.

Softlanding in der EU – Mehrmengenregelung nennt man es in der Schweiz: lange vor dem Ende der Quote wurde diese außer Kraft gesetzt

Die Schweizer Organisationen hatten die Möglichkeit, bereits vorzeitig aus der Quote auszusteigen. Das heisst, die Organisation gab die Quote offiziell dem Staat zurück. Sie teilte dann dem Produzenten die genau gleiche Menge als Lieferrecht zu, welches aber nur noch innerhalb der Organisation gehandelt werden konnte. Für ausgestiegene Organisationen bestand zudem die Möglichkeit, die Milchmenge auszuweiten, wenn sie dem Bundesamt nachweisen konnte, dass sie einen zusätzlichen Absatzkanal gefunden hatte. Die so genannten Mehrmengen wurden den Erzeugern zu einem deutlich tieferen Preis – wegen der so genannten Markteintrittskostenbeteiligung – bezahlt. Mehr als die Hälfte der Erzeuger und der Erzeugerorganisationen machten von der Möglichkeit des vorzeitigen Ausstiegs und der Ausweitung der Menge Gebrauch und so wurde die Milchmenge in der Schweiz bereits vor dem 1.5. 2009 um 5% erhöht.

Es gab auch einzelne Produzentenorganisationen, die ein sehr straffes Mengenreglement beschlossen. Sie sahen sich jedoch bald mit der Tatsache konfrontiert und haben auch heute noch das Problem, dass wachstumshungrige Mitglieder die Organisation verlassen und ihre Milch für einen höheren Abnahmepreis direkt an einen Verarbeiter liefern. Direktlieferanten konnten zudem die Milchmenge in ihren Verträgen frei festlegen. Und so wurde von Anfang an Uneinigkeit unter den Erzeugern gesät: Mehrmengenmelker und Wachstumshungrige gegen Verfechter einer Mengenregulierung, die den gesamten Markt im Blick hat.

 

Vergebliche Versuche der Branchenorganisation

Es wurden bisher zahlreiche Versuche unternommen, die Situation in den Griff zu bekommen.  So wurden von der neu gegründeten Branchenorganisation Milch (BOM), in welcher Produzenten, Verarbeiter und der Handel vereint sind, immer wieder Entscheide zum Umgang mit den Übermengen gefällt, welche bis heute jedoch nicht umgesetzt wurden. (Siehe Pressemitteilungen unter www.ip-lait.ch ) Sowohl ein Musterkaufvertrag als auch eine Regelung zur Butterentsorgung werden von einzelnen Produzentenorganisationen ignoriert. Der von der BOM festgelegte Richtpreis für Milch ist unverbindlich. Und die beschlossene Segmentierung der Milchgeldabrechnung wirkt sich für die Produzenten nur negativ aus.

Die Milchkäufer segmentieren die Milch bei der Abrechnung in A-, B- und C-Milch. A-Milch ist für den geschützten inländischen Teil des Marktes, B-Milch für den Export oder für die Importabwehr und C-Milch geht auf den Weltmarkt. Die Produzenten haben keine Möglichkeit, auf die Lieferung von B- oder C-Milch zu verzichten. Es findet so keinerlei Steuerung der Gesamtmilch-Menge statt, denn im Zweifelsfall können die Verarbeiter die überschüssige Milch immer noch als C-Milch auf dem Weltmarkt verscherbeln. Die Bauern bekommen dann einfach weniger Geld für jene Liter Milch, die als C-Milch vermarktet werden. Und das unabhängig davon, ob sie sich an die fest gelegte Vertragsmenge gehalten haben oder nicht. Entscheidend ist allein die Form der Vermarktung und auf diese haben die Erzeuger keinen Einfluss.

 

Halbherziger Versuch der Politik

Bereits im letzten Jahr reichte Nationalrat Andreas Aebi im Parlament eine Motion ein, welche verlangte, dass auf die so genannten Mehrmengen, welche über das ursprüngliche Lieferrecht (Quote) hinaus gemolken werden, eine Abgabe erhoben wird, welche die Kosten für das Entsorgen dieser überschüssigen Milch zu 100 % deckt. Diese Abgabe sollte bis zu 30 Rappen pro Kilo betragen. Diese Motion wurde mit grosser Mehrheit im Nationalrat angenommen. Auch im Ständerat war eine knappe Mehrheit zu erwarten. Doch ein Ordnungsantrag torpedierte die Abstimmung und man stellte den Entscheid auf unbestimmte Zeit zurück. Die Branchenorganisation Milch (BOM) sollte eine allerletzte Chance bekommen, die Situation eigenständig in den Griff zu bekommen.

Leider hat die BOM diese Chance nicht genützt. Zwar wurde am 18. März entschieden, für den Abbau des Butterlagers auf jedes Kilo Milch eine Abgabe von einem Rappen und bei den so genannten Mehrmengen von vier Rappen zu erheben. Damit hätten die alten Lieferrechte wieder eine Bedeutung gehabt. Doch nur kurze Zeit später setzten sich einzelne, wachstumsorientierte Organisationen vehement gegen diesen Beschluss zur Wehr und torpedierten ihn auf juristischem Wege. So entschied man in der Branchenorganisation bis August erst einmal nichts zu unternehmen.

 

Was sind die Ursachen für das Scheitern der Milcherzeuger?

Die Produzenten haben es verpasst, rechtzeitig gemeinsam eine vernünftige Nachfolgeregelung für die Quote festzulegen. In einer Basisbefragung haben sich 2008 über 80% der Milchbauern für eine privatrechtliche Mengenregulierung, unter Führung des Dachverbandes der Milchproduzenten, als Ersatz für die Quote, ausgesprochen. Über 85% der Verbraucher haben zudem kein Verständnis dafür, dass die Bauern mehr melken, als sie am Markt verkaufen können.

Doch nach zwei Jahren freien Milchmarktes gibt es nicht die Spur einer Mengenregulierung, welche das Angebot an die Nachfrage anpassen kann. Die Produzenten sind untereinander völlig zerstritten. Die einen machen die Mehrmengenmelker für das Debakel verantwortlich. Und diese wiederum kämpfen dafür, dass sie weiterhin ihre neugebauten Kapazitäten voll auslasten können. Der Dachverband der Schweizer Milchproduzenten SMP ist handlungsunfähig geworden. Er versucht mit Kompromissen in alle Richtungen zu verhindern, dass einzelne Produzenten aus dem Verband austreten. Gewicht hat der SMP keines mehr. Aufgrund der beschriebenen Fakten erscheint eine gemeinsame Strategie fastunmöglich.

 

Mengen und Preise aus dem Ruder

Die zu hohe Produktion ist auch der Grund, warum der Milchpreis in der Schweiz in den vergangenen 20 Monaten nicht so ansteigen konnte, wie in den umliegenden Ländern. Die gesamte Milchmenge ist zwar jetzt in festen Lieferverträgen gebunden. Die Molkereien haben aber viel zu hohe Mengen unterschrieben. Hinzu kommt, dass die Milchbauern im vergangenen Jahr 3 % weniger Milch geliefert haben, als in den Verträgen vereinbart worden ist und dieses Jahr dann wieder zugelegt haben, um die niedrigen Preise teilweise auszugleichen. Zwar ist der offiziell von der BOM festgelegte Richtpreis für A-Milch im März nochmals um 3 Rappen auf 65 Rappen gestiegen. Bei den Bauern kommt aber dieser Betrag nicht so an, weil 10, 20 oder sogar 30 % der Milchmenge zu einem viel tieferen B-Preis oder C-Preis abgerechnet werden. (Zur Information: Durchschnittliche Produktionskosten in der Schweiz: 107 Rappen pro Liter/ 1 Euro gleich 122 Rappen)

Der Butterberg hat Ende Juni (Woche 25) einen absoluten Höchststand erreicht. Normalerweise sinken die Lager ab Woche 21, weil dann rund 80 000 Kühe auf die Alp gehen. Doch dieses Jahr bleibt er unverändert hoch und wächst noch weiter. Und die BOM will vor August nichts unternehmen, was die Milchmenge verändern könnte. Das Desaster nimmt seinen Lauf (und der Chef des Bundesamtes für Landwirtschaft hat auf Ende Juni seinen Hut genommen….).

Mit dem Fall des Eurokurses gegenüber dem des Schweizer Franken, könnte die Situation der Käseexporte kritisch werden. Kaufverträge für den Exportkäse könnten neu verhandelt werden mit niedrigeren Preisen, was einen zusätzlichen Druck auf den Preis der Käsereimilch, vermehrte Lagerung sowie ein Überangebot an Käsereimilch provozieren würde. Wenn diese Milch dann in den Kanal der industriellen Milchverarbeitung gelangt, könnte der Überschuss an Käsereimilch zu zusätzlichem Druck auf den ohnehin niedrigen Industriemilchpreis führen. Es zeichnet sich zudem ab, dass zum ersten Mal seit 150 Jahren mehr Käse in die Schweiz importiert als exportiert werden wird. Schuld an dieser Situation ist auch das am 1. Juni 2007 in Kraft getretene Käsefreihandelsabkommen zwischen der Schweiz und der EU.

 

Aussichten

Die Schweizer EMB-Organisationen kämpfen sowohl in der Öffentlichkeit als auch hinter den Kulissen dafür, dass die Politik den Milchproduzenten eine Angebotssteuerung ermöglicht. Es ist abzusehen, dass die Milchpreise in Europa wieder absacken, sobald sich die Futtersituation rund um den Globus stabilisiert hat. Weil die Menge in der Schweiz nicht gedrosselt werden kann, werden wir auch alle unweigerlich in diesen Strudel hineingezogen. Überschüsse mit Beiträgen der Bauern oder sogar mit Staatsgeldern zu exportieren, ist keine Lösung. Schlimmer noch: Solche Dumpingexporte ruinieren die Existenzen unserer Berufskollegen im Ausland. Und nebenbei ist es eine unnötige und unsinnige Verschwendung kostbarer Ressourcen.

Diese Situation zeigt wieder einmal die Verletzlichkeit einer Milchpolitik, die im wesentlichen auf Export und freiem Markt beruht. Deshalb brauchen wir eine kohärente Agrarpolitik basierend auf dem Prinzip der Ernährungssouveränität. Eine Volksinitiative, die dies fordert, ist in Vorbereitung.

Man bekommt heute den Eindruck, dass es im Milchmarkt nicht mehr um eine sichere Versorgung der Bevölkerung mit wertvollen Milchprodukten geht, sondern nur noch um Marktanteile, Macht und Marge. BIG-M und Uniterre setzen sich für eine effektive Angebotssteuerung in Erzeugerhand ein, die Überschüsse von vornherein so weit wie möglich vermeidet. So dass kostendeckende Preise für die Bauern und die Erzeugung hochwertiger Milch in der ganzen Schweiz weiterhin möglich und zukunftsträchtig sind.

Der Bauernaufstand, die Milchstreiks und die Forderung 1 CHF / Liter für die gesamte Schweizer Milchproduktion waren Schlüsselfaktoren, um die Bauernfamilien in der Diskussion um den Milchmarkt neu zu positionieren. Noch nie waren Milcherzeuger so stark wie in diesen Zeiten der Aktion. Sie haben die Bevölkerung mit ihren Forderungen erreicht, man hat ihnen zugehört und sie unterstützt. Mehrere Projekte für die Vermarktung einer fairen Milch wurden seitdem umgesetzt.

Neben diesen Vermarktungsprojekten und den „Straßen“-Aktionen, haben die Produzenten Vorschläge zur Marktstabilisierung eingebracht. Ein erstes Modell zur Regulierung wurde sowohl den Milcherzeugern und ihren Organisationen als auch den Politikern vorgelegt. Es wird derzeit von vielen Seiten intensiv diskutiert, da es eine glaubwürdige Alternative zu der aktuellen chaotischen Situation darstellt. Es ist eine solidarische Methode, um schnell Milch aus dem Markt abzuziehen und den Preis zu erhöhen, und damit eine flexible Mengensteuerung in Erzeugerhand, wie EMB sie vorschlägt.

In der Schweiz wurden die Milcherzeuger von Politikern und Bürgern angehört, als sie mit Aktionen auf der Straße waren und klare Forderungen formulierten, die auch auf europäischer Ebene aufgenommen werden.

  • Ein fairer Preis von 1 Frs / Liter für sämtliche in der Schweiz produzierte Milch,

  • Eine Steuerung der Produktionsmengen in Erzeugerhand

  • Eine vom Staat gesetzte Allgemeinverbindlichkeit, damit die Bürger Einblick haben, die Steuerung effektiv eingesetzt wird und den Anforderungen einer Agrarpolitik basierend auf Ernährungssouveränität entspricht.


Koordinierte und europäische Aktionen müssen aufs Neue so organisiert werden, dass Entscheidungsträger und Öffentlichkeit wieder aufmerksam für die konkreten Vorschläge der Produzenten werden.


Im Jahr 2015 könnte die Lage der Erzeuger in Europa ähnlich sein - oder noch schlimmer - wie die der Schweizer heute. Die europäischen Probleme werden ein anderes Ausmaß haben, aber im Grunde denen, die die Schweizer Erzeuger aktuell erleben, sehr ähnlich sein. Die europäischen Entscheidungsträger beobachten übrigens sehr genau die Entwicklung der Situation in der Schweiz.

Es ist also wichtig "das Problem" Schweiz zu lösen, um die europäische Milchpolitik in Richtung der Anforderungen des EMB weiter zu entwickeln. Deshalb fordern die Organisationen BIG-M und Uniterre das EMB auf, sich noch intensiver mit dem Fall der Schweiz befasst und eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, die echten europäischen Druck auf die Schweizer Entscheidungsträger und Politiker ausüben kann.

Werner Locher, BIG-M

Nicolas Bezençon, Uniterre



Anmerkung des EMB-Büro:

In den kommenden Monaten werden Sie immer aktuelle Berichte und Artikel zu den Entwicklungen in der Schweiz auf der Startseite von www.europeanmilkboard.org finden.

Impressum

European Milk Board asbl
Rue de la Loi 155
B-1040 Bruxelles
Tel: +32 2808 1935
Fax: +32 2808 8265
E-Mail: office@europeanmilkboard.org
Website: http://www.europeanmilkboard.org